*Die Welt mit Kinderaugen sehen
Seit September bin ich ein großes Mädchen, das höre ich in der Krabbelgruppe ganz oft. Die neuen Kinder haben nämlich angefangen und in meiner Gruppe gehöre ich nun wirklich zu den wenigen Großen. Das ist schon eine Aufgabe ein großes Mädchen zu sein. Ich darf das Wasser für die kleineren Kinder holen. Ich tröste sie, wenn sie weinen. Ich sage ihnen, wenn sie etwas nicht tun dürfen, denn das weiß ich nach einem Jahr Krabbelgruppe schon ganz genau. Ich darf ihnen auch beim Basten helfen oder für sie was ausschneiden, weil sie darin noch nicht so geschickt sind wie wir Großen. Ebenso teile ich mit ihnen meine Jause und erinnere sie, wenn sie traurig sind, dass ihre Mamas gleich wieder kommen. So ist das eben, wenn man groß ist, da passt man auf die Kleineren auf.
Auch wenn diese Aufgaben und all die Spiele in der Krabbelgruppe sehr viel Spaß machen, fahre ich nicht jedes Mal gerne dorthin. Vor allem, weil ich mich von meiner Mama verabschieden muss und das mag ich gar nicht, auch wenn ich ein großes Mädchen bin. Denn auch die großen Mädchen vermissen die Eltern im Kindergarten, das ist nun mal so. Auch meine Spielsachen, meinen Kater und mein Zuhause, die Spaziergänge, Einkaufen gehen oder einfach mal ein bisschen gemeinsam auf der Wohnzimmercouch zu sitzen, das vermisse ich.
Meistens weine ich deshalb schon Zuhause oder im Auto, weil ich ganz genau weiß ich bin gleich eine Zeit lang ohne die Mama und ohne unser Zuhause. Da, wo es so gut riecht, da wo ich alles habe was ich brauche. Da, wo es sicher ist. Ich kann nicht mit ihr kochen, ich kann nicht mit ihr rumalbern. Es gibt keine Schokokekse zwischendurch. Auch keine Folge Peppa Wutz, wenn ich müde werde. Die Mama passt nämlich genau so auf mich auf, wie ich das gerne habe – so machen die Mamas das eben.
Auch wenn ich schon groß bin werde ich manchmal in der Krabbelgruppe auch traurig, so wie die Kleinen. Wenn ich müde werde, zum Beispiel. Oder wenn mir das Mittagessen nicht schmeckt, das auf meinem Teller ist. Oder wenn mir was nicht gelingt. Oder aber, wenn ich einfach mal einen schlechten Tag habe. Da vermisse ich meine Eltern ganz doll.
Dass ich die Mama vermisse, wenn sie nicht da ist, das möchte ich ihr auch zeigen. Meine Mama nimmt mir das auch nicht übel, dass ich es ihr am Morgen immer wieder so schwer mache, ebenso wenig meine Betreuerinnen. Sie wissen ja, dass ich sie auch gerne hab‘ und gerne da bin, sie passen ja auch gut auf mich auf. Es gefällt mir hier, denn es gibt so viele tolle Spielsachen, viel zu entdecken und zu lernen. Doch auch wenn es noch so toll ist: nirgends bin ich so gerne als Zuhause bei der Mama. Und genau deshalb werde ich immer wieder traurig beim Tschüss sagen. Das ist eben so – auch bei uns Großen.